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10.12.2023

„Obdachlos katholisch. Auf dem Weg zu einer Kirche, die wieder ein Zuhause ist“

Ausschnitt des Buch-Covers - Bild: Kösel-Verlag.

Obdachlos katholisch – so fühlt sich die Religionswissenschaftlerin Regina Laudage-Kleeberg und hat dazu ein Buch mit diesem Titel geschrieben. Jahrelang arbeitete und engagierte sie sich in der Kirche, doch mit der Zeit sah sie die Institution immer kritischer. Mittlerweile beschäftigt sich Regina Laudage-Kleeberg als Changemanagerin mit Veränderungsprozessen in der Informationstechnologie. Von ihrer Arbeit in der Kirche hat sie sich verabschiedet, überzeugte Katholikin bleibt sie dennoch. Im Interview spricht Regina Laudage-Kleeberg mit Linus Hartmann über das Gefühl, wenn die eigene Kirche fremd wird.

Was meinst du mit „obdachlos katholisch“?

Regina Laudage-Kleeberg: Obdachlos katholisch benutze ich als Metapher für das Buch. Ich glaube, dass es ganz vielen Menschen heutzutage so geht, dass sie einerseits das Gefühl haben: Mit den Werten bin ich aufgewachsen, ich bin in den Ritualen zu Hause. Die Traditionen geben mir ein gutes Gefühl. Ich habe eine innere Bezogenheit oder eine spirituelle Gebundenheit an die katholische Kirche. Aber die Institution, so wie wir sie heute erleben, mit den Missbrauchsskandalen, mit der Vertuschung, mit der Ungleichberechtigung von Männern und Frauen, mit der Benachteiligung und ehrlich gesagt oft auch Erniedrigung von queeren Menschen. Und dann bist du in einer Institution, die zwar moralisch wer weiß was von dir verlangt. Wenn du dir die Dogmen einmal anschaust, dann weißt du ja, an was du alles glauben solltest. Und gleichzeitig aber selber nicht dafür sorgt, dass sich Menschen bei ihr sicher fühlen können. Das ist doch ein Grund dafür, sich tief zerrissen zu fühlen.

Was ist denn ein Zuhause oder eine Heimat für dich?

Regina Laudage-Kleeberg: Ich habe das für das Buch unterschieden. Die katholische Kirche ist eine Heimat für mich, das ist auch nicht weg. Das Zuhause ist aber das, was ich mir im Zweifel aussuchen kann und aus dem ich heraustreten kann. Die Heimat kann ich nicht abstreifen, aber ich kann aus dem Haus gehen und frei leben.

Wie kann man sich in der katholischen Kirche zuhause fühlen?

Regina Laudage-Kleeberg: Das hat viel mit Spiritualität zu tun. Ich habe ein ganz inniges Bedürfnis nach Gottesdiensten und danach, mich angenommen zu fühlen. Das hat damit zu tun, dass ich oft in meinem Leben Trost erfahren habe in der Idee, dass alles neu geht und alles neu beginnen kann. Das hat mich ganz stark in meinem Leben getragen und das ist sicherlich das abstrakte Zuhause in der Kirche oder in meinem Glauben. Ich würde sagen, im Katholisch-Sein bin ich noch immer zuhause.

Wann hast du gemerkt, dass die Kirche das nicht mehr erfüllen kann?

Regina Laudage-Kleeberg: Ich war immer eher allein katholisch. Ich bin viel umgezogen, das heißt ich war nicht viel in Jugendverbänden und Messdienerarbeit als junger Mensch, sondern eher in Gottesdiensten. Das war immer sehr schön und hat mir sehr viel gegeben. Dann bin ich irgendwann berufstätig geworden in der Kirche. Und je tiefer du im System drin bist, desto mehr merkst du natürlich auch: Du bekommst auch die weniger guten Seiten von der katholischen Kirche mit und irgendwann auch die richtig harten, schrecklichen Seiten. Dann ist so 2020 mit der Pandemie für mich der wichtigste Entscheidungszeitraum gekommen, weil wir einerseits kleine Kinder hatten. Mit kleinen Kindern bist du erstmal in Gottesdiensten nicht so willkommen. Und dann sind die Gottesdienste größtenteils auch noch so krass zurückgefahren worden und gleichzeitig gingen auch die Skandale und die negativen Sachen weiter in die Höhe. Das heißt, meine Waage ist immer schwerer geworden und auf der anderen Seite immer leichter. Und dann hat es irgendwann einen Auslöser gegeben. Da gab es einen Konflikt und den Konflikt konnte ich nicht so klären, dass ich das Gefühl hatte, ich kann jetzt hier weiter gut wirken. Das war ein beruflicher Konflikt. Da habe ich mich entschieden, mich woanders hin zu bewerben. Also das ist kein Austritt, sondern ein berufliches Befreien. Weil ich merkte, ich möchte wenigstens austreten können. Das konnte ich in meinem Berufsleben noch nie.

Seit deinem beruflichen Wechsel arbeitest du als Changemanagerin im IT-Sektor. Also etwas ganz anderes. War es für dich schwierig, aus kirchlichen Strukturen herauszukommen?

Regina Laudage-Kleeberg: Das ist grundsätzlich schon schwer. Weil das System Kirche eine ganz starke Tendenz hat, Menschen klein zu halten. Ich habe irgendwann mal das Wort „Kleinmacherkirche“ dafür gesagt. Dass man eben nicht sagt: Wow, du hast so viel Talent und toll, Gott hat dich so geschenkt, hau alles raus! Sondern das System sorgt eher dafür, dass du in so einer ungesunden Art versuchst, demütig zu sein und nicht zu sehr zu stören. Deshalb ist es erstmal schwer, da raus zu kommen. Weil du dich selber nicht so toll findest, wie du eigentlich bist. Ich glaube schon, dass Gott von uns sehr groß denkt, auch oft viel größer, als wir selber von uns denken, und das hat mich sehr traurig gemacht. Weil ich mir auch nur wenig zugetraut habe. Und dann habe ich mir Menschen gesucht, die mir geholfen haben, mich ein bisschen freundlicher anzuschauen. Und dann bin ich da rausgegangen.

Du bist studierte Religionswissenschaftlerin, deine Predigten wurden mehrfach ausgezeichnet, gerade erst hast du dein drittes Kind bekommen. Auf mich wirkst du wie eine Katholikin, die mitten im Leben steht. Wenn du dich nicht mehr heimisch in der Kirche fühlst, wer bleibt dann noch übrig?

Regina Laudage-Kleeberg: Ja, das habe ich mich auch gefragt, ehrlich gesagt. Ich habe einmal eine Gottesdiensterfahrung gemacht mit den Kindern. Die haben ihr Bestes gegeben, leise zu sein, aber es hat natürlich nur begrenzt gut geklappt. Ich war maximal gestresst. Wir gehen da raus und eine alte Frau kommt mit dem Rollator auf mich zu und sagt: Ist ein schöner Spielplatz die Kirche, oder? In dem Moment merkte ich: Hier bricht jetzt was, das Maß ist voll, ich kann es nicht mehr ertragen. Da habe ich damals eine ziemlich wütende Mail in alle möglichen Richtungen geschickt und habe genau das dann reingeschrieben: Leute, ich bin der Inner-Circle. Ich bin hier in den Gremien engagiert gewesen, ich war die Vorsitzende des Pfarreirats. Und wenn ich mich schon nicht mehr traue, in den Gottesdienst zu kommen mit meinen Kindern, warum sollten sich denn dann Leute trauen, die noch nie da gewesen sind? Es gehen doch immer mehr Leute, die aus Gewissensgründen sagen: Ich will hier mit dem Laden nichts mehr zu tun haben. Und trotzdem habe ich das Gefühl: Nichts passiert!

In deinem Buch finden sich aber nur wenige konkrete Reformvorschläge. Warum?

Regina Laudage-Kleeberg: Ich glaube, alle Argumente sind ausgetauscht, es ist alles theologisch angemessen begründet und du kannst jetzt entweder als Institution Kirche sagen: Danke, wir nehmen die Argumente und jetzt springen wir. Oder du sagst: Ne, müssen wir nochmal drüber nachdenken. Dieses Verzögern, das hast du ja die ganze Zeit und deswegen habe ich, als ich dieses Angebot bekommen habe, das Buch zu schreiben, gesagt: Ich werde jetzt kein weiteres Debattenbuch dazulegen, ich lege keinen Forderungskatalog dazu. Ich habe keinen Bock zu sagen: Man müsste, man könnte, man hätte. Sondern ich sage einfach, was ich am schlimmsten finde. Da habe ich die Top Drei der Menschenverachtung aufgezählt und darunter leide ich und darunter leiden viele Menschen. Es ist ein Buch für Katholikinnen und Katholiken, aber nicht für die offizielle Institution.


Interview: Linus Hartmann, In: Pfarrbriefservice.de

Regina Laudage-Kleeberg: Obdachlos katholisch. Auf dem Weg zu einer Kirche, die wieder ein Zuhause ist. Verlag Kösel. 208 Seiten, 20 Euro.