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07.01.2023

„Es gibt zwischen Himmel und Erde Energie und Bewegung...“

Ein Interview mit einer Sterbebegleiterin zum Buch „Weißt du, wohin die Liebe geht?“ Darum geht es in dem Buch: Ein alter Mann erlebt die Stunden vor seinem Tod im Zwiegespräch mit einem Engel. Die Begegnung hilft ihm, das Unversöhnte in seinem Leben anzuschauen und Frieden zu finden. Auf wenigen Seiten erzählt die Autorin Evelyn Back diese Geschichte, einfühlsame Bilder veranschaulichen sie. Was sagt eine Sterbebegleiterin zu diesem Büchlein mit dem Titel „Weißt du, wohin die Liebe geht?“? Ein Interview mit Annerose Simon. Sie engagiert sich seit vielen Jahren als ehrenamtliche Hospizbegleiterin bei den Maltesern.

Was war Ihr erster Eindruck von dem Buch?

Annerose Simon: Die Bilder haben mir auf Anhieb sehr gut gefallen. Die Farben, die Art der Darstellung, die Kontraste – alleine dadurch entstehen ganz viele Stimmungen. Die Bilder sind für mich ein sehenswerter Trost.

Was hat Ihnen an der Geschichte gefallen?

Annerose Simon: Im ersten Moment war die Geschichte für mich eigentlich zu rund, fast wie ein Märchen. Was mir gefallen hat, war, dass der Mann dieses Zwiegespräch mit dieser hellen Gestalt, mit diesem Engel geführt hat und niemand anderes aktiv beteiligt war. Mir hat das ein Stück weit die Geschäftigkeit genommen, die ich sehr oft erlebe bei Begleitungen, auch bei mir selber – zu denken, man muss viel tun, um was zu klären. Sich ständig zu fragen, was könnte man noch tun, damit der sterbende Mensch gut gehen kann. Die Geschichte zeigt mir: Letztendlich war es für diesen Mann ein gutes Miteinander mit diesem Engel, bei dem sich vieles geklärt hat. Das hat mich ruhig werden lassen. Das fand ich entlastend und hat gut getan.

Sie können dem also folgen, dass das wirklich so passieren kann?

Annerose Simon: Ja, unbedingt. Mir sind Szenen von Begleitungen eingefallen, wo ich gespürt habe, da ist eine Energie im Raum, da tut sich jetzt was. Da kann ich eigentlich nur zur Seite gehen. Ich erlebe das oft, dass sich Ruhe von außen sehr positiv auf Sterbende auswirkt. Ich denke, es ist wichtig, ihnen das Gefühl zu vermitteln, dass sie nicht alleine sind. Gleichzeitig zeigt diese Geschichte, dass es zwischen Himmel und Erde Energie und Bewegung gibt, die wir nicht machen können, aber die passiert. Darauf setze ich in meinen Begleitungen. In dieser Hinsicht ist für mich dieses Buch ein Mutmach-Buch. Es will Mut machen, auf diese Kraft zu vertrauen.

Die Geschichte erzählt von Versöhnung, ohne dass eine tatsächliche Begegnung mit der Tochter und mit dem Freund stattgefunden hat. Wie realistisch ist das?

Annerose Simon: Für mich absolut realistisch. Wenn der oder die Sterbende bereit und offen ist, ungeklärte Dinge oder auch Schuld im eigenen Leben anzuschauen, dann ist Vergebung möglich, auch wenn sie nicht direkt persönlich stattfindet.

Warum ist Versöhnung am Ende eines Lebens so wichtig?

Annerose Simon: Weil es um Verletzungen geht, die die Seele mit sich trägt. Die tun weh. Ich glaube, jeder Mensch strebt nach Klärung, nach Entlastung für die Seele. Ich habe gestern erst mit einer älteren Frau gesprochen, die sagte: ‚Ich verzeih mir heute noch nicht, was ich meiner Mutter angetan habe.‘ Und bricht in Tränen aus. Da ist wohl ein Urwunsch in uns nach Versöhnung, nach ganzheitlichem Wohlsein mit den Mitmenschen.

In welchen Situationen kann dieses Büchlein Ihrer Meinung nach eine Hilfe sein?

Annerose Simon: Ich kann mir vorstellen, es mit Angehörigen anzuschauen, die sehr in Sorge sind, wenn sich der Sterbeprozess hinzieht. Ich erinnere Situationen, wo ich mir hätte vorstellen können zu sagen: ‚Schaut euch dieses Buch an‘, um ihnen die Spannung und die Sorge zu nehmen, dass sie etwas machen könnten, machen müssten. Auch für Menschen, die wissen, dass sie gehen werden, kann es ein hilfreiches Medium sein. Als Anstoß: ‚Du kannst selber‘. Oft sagen die Menschen ja, ‚Was passiert ist, kann ich nicht ändern. Es ist schlimm, aber ich kann es nicht ändern.‘ Da denke ich immer: Doch. Man kann etwas ändern, alleine durchs Anschauen, durchs Drüberschauen und gucken, was macht das mit mir. Auch durchs Drüberweinen. Dadurch verändert sich was. Absolut.


Interview: Elfriede Klauer, In: Pfarrbriefservice.de

Das Buch: Evelyn Back - Weißt du, wohin die Liebe geht? Verlag Books on Demand 2022, ISBN 978-3-756-23511-7; 9,99 Euro