Herbergssuche 1945
An einem klirrend kalten Winterabend
ist eine Mutter mit drei Kindern schon Tage auf der Flucht
und hat endlich die Stadt und Wohnung einer Verwandten erreicht.
Sie hofft, dort bis zum Morgen eine Bleibe zu finden.
Schon Sitzplätze würden genügen,
aber . . . man lässt die Heimatlosen wieder ziehen.
So sucht die Frau gegen Mitternacht
in den Bahnhofsruinen nach einem Unterschlupf.
Sie wagt sich in ein beheiztes Zelt der Besatzungsmächte,
um inständig um Obdach für nur einige Stunden zu bitten
- wenigstens für die Kinder.
Doch die Wachen und ihre Gespielinnen haben dafür kein Ohr.
Da bietet sich ein Zug an, von dem man hört,
dass er während der Nacht nicht im Einsatz sei.
Doch in den übervollen Bahnwagen
scheint es kein Schlupfloch mehr zu geben.
Flüchtlinge, Flüchtlinge und Gepäck, Gepäck
versperren den Weg.
Doch die Mutter kämpft,
überwindet unzählige Hindernisse,
bis Menschen auf einer Sitzbank zusammenrücken
und Platz für ein Kind machen, für nur e i n Kind.
Dieses wird später verstört aus dem Schlaf erwachen,
verzweifelt den Zug verlassen und nach der Mutter suchen.
Zunächst aber vertraut diese Frau darauf,
irgendwo noch eine weitere Lücke zu finden.
Und tatsächlich: Wieder rücken Menschen zusammen.
Jetzt hat auch sie - mit zwei Kindern auf dem Schoss -
eine nächtliche Herberge gefunden.
Für kurze Zeit.
Sie schreckt auf,
als sie das dritte Kind im Außenbereich weinen und panisch rufen hört.
Sie muss ihm hinterhereilen und die beiden anderen zurücklassen.
Die aber werden nach dieser Störung auch allmählich wach,
fühlen sich nun ebenso trostlos verlassen
und meinen die Mutter unwiederbringlich verloren.
. . . . . . .
Hier reißt die Erinnerung ab.
Sie hat barmherzig gelöscht,
was an kindlichem Schmerz nicht zu ertragen war.
Autorin: Barbara Wurm, Kirchort Heiligste Dreifaltigkeit