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19.04.2020

„Wer's glaubt, wird selig!“

Wenn ich heute diesen Spruch höre, dann ist er meist ironisch gemeint. Unglaube spricht aus diesem Satz: "Das glauben doch nur Naive ..." soll er bedeuten. Oder: "Du flunkerst doch."

Und dabei stammt dieser Satz aus der Bibel und ist durchaus so gemeint, wie er dasteht.

Das Original beim Evangelisten Markus (Kapitel 16 Vers 16) hat Martin Luther übersetzt: "Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubet, der wird verdammt werden." Wer glaubt, wird selig. Wer auf Gott vertraut, wird das ewige Leben erlangen. Der Unterschied zwischen der Übersetzung Luthers und der volkstümlichen Redewendung ist das kleine "s": Wer "es" glaubt, heißt es in der Redewendung. Das heißt: Wer etwas für wahr hält. Glauben, wie es Jesus meint und auch Martin Luther so verstanden hat, ist mehr als etwas für wahr halten. Da geht es um Vertrauen. Es könnte auch heißen: Wer IHM - Gott - glaubt, wer seine Existenz auf IHN baut, der wird selig.

„Wer’s glaubt, wird selig!“– da fällt mir auch der Zweifler ein, Thomas, einer der zwölf Apostel. Er will den angeblichen Erscheinungen und der strahlenden Osterfreude seiner Apostelkollegen lieber skeptisch auf den Zahn fühlen: „Wenn ich meinen Finger nicht in die Male der Nägel legen kann, glaube ich nicht.“ (Joh 20.25) Den bohrenden Fragen des Zweiflers streckt Jesus seine Wundmale entgegen. Dann aber erteilt er ihm eine Lektion in Glaubensfragen: „Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ (Joh 20,27) Aber hat denn nicht jede und jeder auch einen fragenden und zweifelnden Thomas in sich? Und überhaupt: Ist Thomas nicht erst durch seinen Zweifel hindurch ein Seliger geworden?
 
„Glaubst du noch, oder denkst du schon?“Das ist für viele Zeitgenossen die Alternative. Freilich: So genau weiß ich das eigentlich gar nicht. Denn wenn es um Glauben geht, ist das Privatsache. Da darf jeder glauben, was er will. Darüber redet man nicht. Darüber streitet man sich nicht. Man bricht eher das Gespräch ab: „Kirche, Gemeinde, Glaube, Gott, heute noch? Ach, so einer bist du! Ich bin dann mal weg.“

In einer Runde Jugendlicher haben wir uns einem die Frage persönlich für uns gestellt: „Wo kommt mein Glaube in Konflikt mit meinem Denken?“. Einige wussten auf Anhieb was zu sagen: „Ich kann nicht alle Geschichten in der Bibel glauben. Besonders manche Wundergeschichten sind ein harter Brocken für mein Denken. So was gibt´s doch nicht!“
Oder jemand sagte: „Dass Adam und Eva die ersten Menschen gewesen sein sollen, das kann nicht sein.“ Dahinter steckt ja eine einfache Rechenaufgabe: Wenn man alle Generationen von Adam und Eva bis zu Jesus zusammenzählt und dann noch 2000 Jahre dazu rechnet, dann wäre die Menschheit noch keine 5000 Jährchen alt. Das passt aber nicht zu dem, was wir in Erdkunde über die Epochen der Menschheitsgeschichte gelernt haben.

Glaube und Denken, Glaube und Vernunft, wie passen die zusammen? Sind die beiden ein unversöhnlicher Gegensatz? Muss ich mich entscheiden, entweder für den Glauben oder für das Denken? In der Runde mit den Jugendlichen hat jemand einen Grund genannt, weshalb heute für viele Menschen der Glaube an Gott immer schwieriger wird: „Je mehr man wissenschaftlich erklären kann, desto weniger kann ich glauben. Früher hatte man z.B. noch keine Ahnung von der Entstehung der Welt, da glaubte man eben, Gott hätte alles geschaffen. Heute hat man die Entstehungsgeschichte der Welt immer weiter erforscht, da braucht man Gott nicht mehr zur Erklärung.“ Das stimmt ja: Die Lücken unseres Wissens werden immer kleiner. Man ist z.B. schon dabei, zu erforschen, was im Gehirn abgeht, wenn Menschen lieben und hassen. Da bleibt für Wunder und Gott kaum mehr Platz. An dieser Stelle wird´s allerdings richtig spannend: Wenn Gott nur Lückenbüßer ist, wenn Gott nur zuständig ist für das, was wir uns nicht erklären können, dann hat der Glaube und dann hat Gott selbst  schlechte Karten. Gott als Lückenfüller – wenn Gott das ist, befindet er sich unaufhaltsam auf dem Rückzug.

Aber vielleicht ist das ja schon ein grundsätzlicher Denk–Fehler, dass wir Gott in die Lücken des Unerklärlichen schieben. Wenn Gott Herr ist, der ganz andere, wenn Gott über allem steht, wenn Gott Ursprung und Ziel von allem ist, so wie die Bibel ihn uns vorstellt, dann dürfen wir ihn nicht in die Lücken unserer Unwissenheit quetschen. Wenn Gott Ursprung und Ziel von allem ist, dann ist er Gott über den Verstand, dann ist er in allem, was wir wissen und auch in dem, was wir nicht wissen. Dass Glaube und Vernunft unterschieden werden, finde ich wichtig. Unterschieden, aber nicht getrennt.

Und wer´s nicht glaubt? Auch der wird selig! Das zeigt uns nicht nur Thomas, der Apostel der Zweifler. Das zeigt auch der englische Dramatiker George Bernard Shaw. Shaw war einer der prominentesten Kirchenfeinde und Religionskritiker im 20. Jahrhundert. Von ihm wird folgende Anekdote erzählt: Er war mit einer Klosteroberin befreundet, die täglich für seine Bekehrung betete. Einmal gestand ihr Shaw eine fundamentale Glaubensschwäche: Er könne nicht an die Gottheit Christi glauben. Und auch nicht an die Auferstehung Christi. „Aber“, sagte er und legte der Nonne beruhigend die Hand auf die Schulter, „ich glaube, seine Mutter wird mir durchhelfen“. Soll das ein Witz sein? Ein skeptischer Intellektueller, ein Ungläubiger glaubt an Maria! Wie kann man an Maria glauben, wenn man an Gott zweifelt? Vielleicht ist diese Haltung nicht ganz so abwegig, wenn man in Maria das Urbild des fragenden Menschen sieht. Denn Maria begegnet Gott im Augenblick ihrer Berufung zunächst mit ihren Fragen und Bedenken. In dieser Fragehaltung ist Maria auch das Urbild der fragenden Kirche. George Bernard Shaw jedenfalls fühlte sich bei aller Skepsis ein Leben lang hingezogen zu solchen fragenden und nachdenklichen Christen.

Ich erlebe mich immer wieder neu lebendig, wenn ich – ganz gleich ob innerhalb der Gemeinden, privat oder in anderen gesellschaftlichen Zusammenhängen – in solches Fragen und Überlegen komme, wo Zweifel und unterschiedlichste Erfahrungen Platz haben. Und oft erlebe ich, dass in solchen Gesprächen überraschend Intensität, Nähe und Begegnung geschieht, die mich glauben lässt: Jesus, der Auferstandene, ist in der Mitte, SEIN heiliger Geist bewegt unsere Herzen und Gedanken. Und da merke ich, wie das Wort des früheren Mainzer Bischofs und Kardinals Hermann Volk gilt, dem ich als Abiturient bei meiner ersten Rom-Fahrt 1986 mit einer Gruppe von Jugendlichen der Schönstatt-Bewegung im Campo Santo im Vatikan begegnet bin: „Im Alleingang kann niemand selig werden.“


Autor

Stephan Müller, Jahrgang 1967, seit 2015 Leitender Pfarrer des Pfarrverbandes Nürnberg-Langwasser