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17.10.2020

Spuren im Sand

Jedes Jahr im Urlaub mache ich lange Spaziergänge am Strand. Ab und zu ist das Wetter nicht badefreundlich, bewölkt, stürmisch, regnerisch, und dann sind nur wenige Unermüdliche mit mir unterwegs.

Und jedes Jahr kommt mir die Geschichte mit den Spuren im Sand in den Sinn, ein wunderschönes Lied von Gregor Linßen gibt es auch dazu, und ich habe Zeit zum Nachdenken, während ich über das Meer schaue oder die Spuren im Sand betrachte, die die Menschen vor mir hinterlassen haben. Und plötzlich kommt eine Welle und spült alle Spuren weg, der Strand liegt glatt vor mir und ich hinterlasse ganz neue Spuren. Ich bin die erste.

Spuren im Sand. In der Geschichte fragt sich der geplagte Mensch, warum in den Zeiten seines Lebens, in denen es ihm schlecht ging, in denen er sich dahinschleppte, nur noch eine Spur zu sehen ist statt zwei. Und Gott sagt ihm, dass er ihn in den schweren Zeiten getragen hat. Eine tröstliche Vorstellung. Gott trägt mich!

Aber mir gehen in diesem Jahr auch ganz andere Gedanken durch den Kopf. In einem Jahr, in dem wir von anderen Menschen getrennt wurden, Kontakte zeitweise nur noch über Telefon oder andere Medien gepflegt werden durften, in einem Jahr, in dem wir uns die körperliche Nähe – außer im eigenen Haushalt – abgewöhnen mussten.
Nur meine Spur alleine im Sand sieht sehr einsam aus. Ich freue mich, wenn neben meiner Spur rechts und links noch andere Spuren sind, nähere und weitere, kleine und große, manche kommen mir auch entgegen. Ein Zeichen dafür, dass ich nicht alleine bin. Menschen sind mit mir auf meinem Lebensweg unterwegs, sie begleiten mich, gehen an meiner Seite, verbringen Zeit mit mir, hören mir zu. Sie trösten mich, warten auf mich, drehen sich zu mir um. Und in jeder dieser Spuren ist Gott zu finden, der mir diese Menschen an die Seite stellt.
Der Gedanke gefällt mir, aber mir gefällt auch der Umkehrschluss: Ich bin anderen Menschen nahe und darf sie begleiten.

So sehr wurde mir dieses Jahr bewusst, wie wichtig Kontakt und direkter Austausch für mich sind, Umarmungen, spontane Treffen, Zusammensein mit Freunden und Familie. Überlebensnotwendig!
Eine Spur im Sand ist mir zu wenig. Ein Stück darf es mal so sein, aber dann bin ich froh, wenn andere Spuren meiner eigenen Gesellschaft leisten und mir zeigen: Du bist nicht alleine.

Und wenn das Meer wieder alle Spuren wegspült, ist das auch ein Zeichen für meine Vergänglichkeit.


 

Autorin

Martina Baum, 57 Jahre alt, verheiratet, 3 erwachsene Kinder und Schwiegerkinder, 5 Enkel.
Hobbys: Musik, Lesen, Radeln
Ehrenamtlich tätig im Kirchortsrat St. Maximilian Kolbe, Liturgieausschuss, Projektchöre für Kinder und Erwachsene u.a.m.