Zum Inhalt springen
19.05.2020

Gott, öffentlich. „Für alle hörbar, sichtbar; nicht geheim - für die Allgemeinheit zugänglich, benutzbar“

Es ist Mitte Mai. Vor neun (9!) Wochen wurden die Schulen und Kindergärten in Bayern wegen des damals noch relativ neuartigen Coronavirus geschlossen.

Anfangs schien es ein Riesenproblem zu sein, die Kinder daheim zu betreuen, berufstätige Eltern sollten zuhause bleiben, wie sollte das gehen!? Der Aufschrei hat sich gelegt, die Fragen sind nahezu verstummt, gelegentlich eine Diskussion mit oder besser noch über gestresste Eltern, die parallel in Homeschooling und Homeoffice tätig sind, Frauen tragen zuhause die Hauptlast, der Männerjob ist wichtiger. Missverhältnisse werden in vielen Bereichen offenbar. Neue Helden werden geboren und in den Himmel gelobt und hoffentlich nach der Krise nicht wieder in der Versenkung verschwinden. Nun werden die Schulen endlich wieder hochgefahren: Diese Woche starteten die Erst-, Fünft- und Sechstklässler. Schön hört sich das an! Nach Normalität! Die Realität sieht ein bisschen anders aus: Unterricht nur an zwei Tagen und das nicht mal für sechs Stunden, die ersten Klassen sind geteilt, ein Teil beginnt mit einer Woche daheim. Zur Abwechslung! Aber die Kinder freuen sich so sehr auf ihre Freundinnen und Freunde und sogar auf die LehrerInnen. Von den Kitas redet leider gerade niemand. „Früher waren die Kinder immer daheim. Das ging doch auch!“ So reden die ganz Klugen, mit viel Abstand zur eigenen Familienphase oder die ganz ohne eigene Erfahrung.

Und mittendrin stehen unsere Gemeinden, die wochenlang mit teilweise bewundernswerter Kreativität und viel Aufwand und Mühe versorgt wurden und in deren Kirchen nun wieder offiziell halböffentliche Gottesdienste gefeiert werden dürfen. Halböffentlich, ein schönes Wort. Gott wird halböffentlich angeboten. Das geht natürlich gar nicht, denn Gott ist öffentlich! Sehr öffentlich sogar.

Öffentlich: „Für alle hörbar, sichtbar; nicht geheim - für die Allgemeinheit zugänglich, benutzbar“ – so die Definition aus dem Online-Wörterbuch, die mir sozusagen unter die Finger gekommen ist. Eine sehr passende Beschreibung, wie ich meine. Gott – für alle hörbar und sichtbar – zumindest für alle, die ihn hören und sehen wollen. Vielleicht haben viele Gott in den letzten Wochen in der Natur entdeckt, sichtbar im erwachenden Frühling mit seinem Grün, hörbar im Gezwitscher der Vögel. Nicht geheim. Das ist wahr. Im Fall der Natur ist Gott ganz und gar nicht geheim, er wirkt nicht im Geheimen, sondern sehr offensichtlich, er offenbart sich sozusagen. Mir erscheint er trotzdem oft geheimnisvoll. Gott. Wer ist er, wie ist er, wo ist er. Gerade jetzt. Eine diffuse Macht oder ein persönlicher Anteilnehmer und Mitfühler. Immer da oder weit weg. „Geheimnis des Glaubens“ beten wir geheimnisvoll im Gottesdienst.

Benutzbar. Kann Gott benutzbar sein wie ein Gebrauchsgegenstand? Das klingt erst einmal eher abwertend. Dann könnte Gott auch irgendwann abgenutzt und abgelegt sein. Oder man könnte ihn umnutzen, was ja auch oft genug getan wurde. Gott als Erziehungsinstrument, als Angstmacher, als Erklärung für das, was wir nicht verstehen oder wofür wir nicht selber die Verantwortung übernehmen wollen. Aber benutzbar bedeutet auch, dass er da ist und zur Verfügung steht. Dass er in Wartestellung ist und jederzeit bereit, uns zu unterstützen. Auf welche Weise auch immer.

Für die Allgemeinheit zugänglich. Gott ist ein Gott für die Allgemeinheit. Für alle, die ihn suchen. Zugänglich bedeutet offen. Gott ist offen für uns.
Das zumindest durfte ich in diesen Wochen spüren. In all meinem Hadern mit den Umständen, in all meiner Ungeduld, meinem Ärger und meinem Zorn. In meiner Unfähigkeit, mich auf die Umstände einzustellen oder gar einzulassen. Gott verbirgt sich nicht hinter einer Maske, Gott versteckt sich nicht hinter Zahlen. Er ist da, er ist zugänglich. Und ich kann es spüren, wenn ich zugänglich werde für ihn.

Wie wunderbar passen da die kommenden Feiertage. Erst entzieht sich Jesus der Welt an Himmelfahrt, sein Abflug sozusagen, und dann kommt der stürmische Beginn einer neuen Zeit an Pfingsten. Von der Zurückgezogenheit und dem Geheimen an die Öffentlichkeit!
Für die Allgemeinheit zugänglich. Hörbar, sichtbar.

Noch stecke ich halbtief in meinem neuartigen Corona-Loch fest. Das mag ich gar nicht leugnen. Es gibt einige sehr wichtige Dinge, die ich vermisse. Vor allem die Treffen mit Freunden, Gemeinschaft über die Familie hinaus, Musik und Gesang, Kultur live. Und ich mag keine halbverdeckten Gesichter mehr sehen. Ich warte ungeduldig auf die neue Normalität, die unbefangen daherkommt wie die alte und doch anders. Bewusster wahrgenommen und wertgeschätzter, besonnener.
Und mittendrin Gott, öffentlich.


 

Autorin

Martina Baum, 57 Jahre alt, verheiratet, 3 erwachsene Kinder und Schwiegerkinder, 5 Enkel.
Hobbys: Musik, Lesen, Radeln
Ehrenamtlich tätig im Kirchortsrat St. Maximilian Kolbe, Liturgieausschuss, Projektchöre für Kinder und Erwachsene u.a.m.